Jascha Hödl studiert im Master Water Engineering an der TH Lübeck. Vor dem Abschluss seines Studiums hat der 29-jährige noch ein Abenteuer gewagt: Ein Auslandssemester im griechischen Patras. Von der Vorbereitung, über die Anreise bis hin zu Ausflugszielen, berichtet Jascha Hödl ausführlich über seine Erfahrungen.
Ein Auslandssemester muss gut vorbereitet sein, so sagt man. Man kann Modulpläne verschiedener Universitäten miteinander vergleichen, Erfahrungsberichte anderer Studierender lesen, Uni-rankings anschauen und dann eine vermeintlich faktenbasierte Entscheidung treffen. Letztlich sollte man sich aber darüber im Klaren sein, dass viele Dinge anders kommen können und werden. Also checke die Möglichkeiten, wähle eine Stadt, die dich begeistert. Versuche herauszufinden, ob du dort etwas Spannendes machen kannst. Wirf die deutsche Vollkaskomentalität über Board, bleib flexibel und vertrau darauf, dass es gut wird. Ich habe mich schließlich für Patras in Griechenland entschieden.
Vorbereitung
Es gibt drei elementare Sachen, die jede Person für Auslandssemester benötigt: Geld, ein Learning Agreement und bestenfalls eine Unterkunft. Ein Auslandssemester an einer europäischen Universität wird in der Regel mit einem Erasmus+ Stipendium gefördert. Die Beantragung erfolgt über das International Office und ist ohne größeren Aufwand machbar und es gibt Infoveranstaltungen, in denen alles ganz genau erklärt wird. Das Stipendium ist eine solide Basis, als einzige Einkommensquelle wird’s dann aber schon eng am Ende des Monats. Ich habe noch AuslandsBAföG beantragt. Das wird auch häufig bei Studis genehmigt, die in Deutschland normalerweise kein BAföG-Anspruch (mehr) haben. Inzwischen kann man den Antrag sogar recht unkompliziert digital stellen. Das Zusammensammeln der notwendigen Dokumente ist zwar immer etwas lästig, aber durchaus machbar. Einem sollte bewusst sein, dass die Bearbeitungsdauer etwas länger dauern kann und man eventuell auch 1-2 Monate mir Rücklagen überbrücken muss. Je früher der Antrag eingereicht wird, umso schneller geht’s. Leider muss man auf manche Unterlagen aber auch etwas warten, bis man sie bekommt. Das International Office der TH Lübeck leistet jedoch hervorragende Arbeit und man wird gut unterstützt. Sowohl bei der Beantragung des Stipendiums als auch bei der Beschaffung sämtlicher Unterlagen.
Das Learning Agreement wird online erstellt. Es gibt eine zentrale Seite der EU. Man sucht sich die Module auf der Seite der Universität Patras zusammen, die man gerne belegen möchte und trägt diese in den Vordruck ein. Man sollte vorher Rücksprache mit den zuständigen Koordinatoren halten, damit diese auch wirklich anerkannt werden. Der große Vorteil der Online-Plattform ist, dass die drei notwendigen Unterschriften (die eigene, die des Studiengangsleiters und die von der Koordinatorin der Universität Patras) direkt auf dem gleichen Dokument stattfinden. Anschließend kann man sich das Dokument herunterladen.
Eine Unterkunft zu finden, war nicht ganz so einfach. Man kann sich bei der Bewerbung an der Universität direkt um einen Platz im Wohnheim mitbewerben. Ein einfaches Ankreuzen eines Feldes genügt. Es gibt Einzel- und Doppelzimmer. Die Miete ist mit weniger als 200 € für ein Einzelzimmer sehr überschaubar. Leider habe ich mich ein wenig zu stark darauf verlassen, dass ich dort ein Zimmer bekomme und war recht überrascht als ich abgelehnt wurde. Es gibt ca. 100-150 internationale Studis in Patras. Dem stehen 40 Plätze im Wohnheim gegenüber. Dann gibt es noch WhatsApp- und Facebook-Gruppen. Zusätzlich bekommt man einen Buddy an die Seite gestellt. Dies war bei mir eine nette griechische Studentin, die mir bei der Wohnungssuche sehr geholfen hat und mich auf die Seite StayinPatras aufmerksam gemacht hat. Dort habe ich dann in einer WG innerhalb von wenigen Tagen ein Zimmer bekommen. Der Mietvertrag kam per Mail und ich musste direkt 250 € vorab überweisen. Natürlich macht man so etwas immer ungern, aber ich hatte eine vermeintlich gute Referenz. Es hat alles super geklappt.
Die Anreise
Meine Naivität die Flugzeit mit der Reisezeit gedanklich gleichzusetzen ist ein Fehler, den ich nur allzu gern immer wieder aufs Neue begehe. In Wirklichkeit ist Folgendes passiert: Eine Stunde aus Lübeck zum Hamburger Flughafen. Dort ca. zwei Stunden vor Abflug ankommen. Nach 20 Minuten feststellen, dass der Aegean-Schalter sich in Terminal 2 befindet. Einchecken, Sicherheitskontrolle, Boarding. Dreieinhalbstunden nach Athen fliegen, ohne Entertainmentsystem - da Kurzstreckenflug - nervig. Also die Gedanken etwas kreisen lassen. In Athen angekommen, den vor Abflug neuerworbenen Koffer vom Gepäckband holen. Beim Verlassen des Flughafens feststellen, dass es der falsche Koffer ist. Umdrehen, Koffer zurücktauschen und freundlich um Verzeihung bitten. Bis hierhin sind schon einmal fast sieben Stunden vergangen.
Jetzt von Athen nach Patras kommen. Ein Ticket für den X93-Bus am Ticketautomaten bei Ausgang 5 kaufen und um 16:30 Uhr durch den Berufsverkehr von Athen quer durch die Stadt zur KTEL-Busstation fahren. Eine weitere Stunde vergeht. Dort angekommen ein Busticket für den Fernbus nach Patras kaufen. Halbe Stunde Wartezeit, dann eine dreistündige Busfahrt – kein Akku, kein USB-Anschluss, keine Pause, keine Toilette und auch keine Vorwarnung. Ankommen, Handy laden und Mitbewohnerin anrufen (zum Glück hatten wir vorher Kontaktdaten ausgetauscht). Mit dem Taxi und zwei Koffern ca. 15 min fahren und dann endlich angekommen. Insgesamt hat der Trip circa 13 Stunden gedauert. Eigentlich eine adäquate Zeit, um nach China zu reisen - für Griechenland war es unerwartet lange. Reisekosten ca. 150 €, durchaus passabel.
Wohnen und Leben
Erster Stock, eigenes Zimmer – möbliert, zwei Mitbewohnerinnen. Die Wohnung hat drei Zimmer, Küche, Bad, Balkon. Ein kleines Häuschen eher am Stadtrand. Eigentlich ganz schön, im Winter war es aber sehr, sehr kalt. Das WG-Leben ist sehr angenehm, ich verstand mich gut mit meinen Mitbewohnerinnen und man war, insofern man wollte, in Gesellschaft. Für mich ist die Lage einer Unterkunft auch sehr relevant. Ich gehe gern nach draußen für einen Kaffee oder auch am Abend für ein paar Drinks. 1,5 km zum Stadtzentrum ist absolut in Ordnung. Allerdings lernte ich für die Zukunft nicht nur auf die bloße Entfernung zu achten, sondern zukünftig auch die Topografie zu berücksichtigen. Patras ist verdammt bergig! Die Stadt ist übersäht mit Treppen und Steigungen. 50 m Höhendifferenz zwischen meiner Wohnung und der Bushaltestelle zur Uni haben mein norddeutsches Herz täglich bluten lassen.
Aber die Freizeitmöglichkeiten waren super. Die Uni hat ein großes kostenloses Sportangebot. Endlich konnte ich mal wieder Tennis spielen. Es gab Basketball- und Volleyballgruppen. Ein paar Leute trafen sich auch regelmäßig zum Kicken. Es gibt ein Uni-Fitnessstudio. Außerdem bietet die Mensa drei kostenlose Mahlzeiten pro Tag an!
Ich habe zusätzlich an einem viertägigen Korfu-Trip zusammen mit den anderen circa 200 Internationalen der übrigen Unis aus Griechenland gemacht. Ein Wochenende in Thessaloniki wurde angeboten und noch ganz viel mehr. Einmal pro Woche fanden auch noch kleinere Events statt. Hier und da ein Konzert, eine Stadtrallye usw. Das ESN-Team (Erasmus Student Network) legt sich wirklich sehr ins Zeug, dass alle miteinander in Kontakt kommen und man einen großartigen Aufenthalt hat.
Und dann gibt es natürlich noch ganz viele Städte wie z. B. Athen oder Delphi zu besichtigen. Das Land ist übersäht mit historischen Ausgrabungsorten und Museen. Bereits für 20 € pro Tag kann man ein Auto inkl. Versicherung ausleihen und das Land bereisen. Insgesamt sind die Lebenshaltungskosten etwas geringer als in Deutschland. Ganz viele Inseln kann man mit der Fähre besuchen. Und auch in Patras gibt es vieles zu entdecken. Es wird nicht langweilig.
Das Studium
Eine große Eröffnungsveranstaltung für die Internationalen hat das Semester eröffnet. Alles Essentielle wurde erläutert; Anbindung, Bustickets, Registrierung bei der Uni etc. Es war eine lockere Stimmung, verschiedene Gruppen haben sich vorgestellt. Besonders interessant war das Erasmus Student Network. Anschließende Snacks und Getränke sorgten für eine angenehme Kennenlernatmosphäre. Das erste Kontakteknüpfen bei Frischkäsehäppchen sollte das Fundament späterer Freundschaften legen. Einen Tag später ging es dann auch zum Department. Der Campus hat mehrere Busstationen und ist ungeheuer groß. Das war mir bei meinem ersten Gang zum Gebäude des FB Geologie nicht ganz klar. Ich bin brav an der ersten Bushaltestelle des Campus ausgestiegen und dann ca. 25 min zum Department gewatschelt – bei ca. 30 °C und praller Sonne. Das tolle ist, dass die meisten Gebäude und Fachbereiche bei Google Maps eingezeichnet sind. Da die Beschriftungen der Gebäude jedoch auf Griechisch sind, musste ich trotzdem Fragen ob ich richtig bin. Dort angekommen, habe ich dann schließlich meine zuständige Professorin getroffen. Recht schnell merkte ich, dass Uhrzeiten bestenfalls eine grobe Empfehlung darstellen.
Bei der Besprechung des Learning Agreements wurde mir klar, dass einige Sachen doch etwas anders als gedacht stattfinden bzw. nicht stattfinden. Es ist nicht so, dass Kurse generell auf Englisch angeboten werden. Für Erasmus-Studis werden extra Vorlesungen veranstaltet. Diese sind allerdings eher Sprechstunden. Ca. einmal pro Woche habe ich mich mit der lehrenden Person zu wechselnden Zeiten für 30-45 Minuten per Mail verabredet und ein paar Dinge besprochen. Manchmal habe ich Literatur oder eine Aufgabe mitbekommen. Ich hatte Glück, dass ich in einem spannenden Projekt mitarbeiten konnte und mir ein Büro mit einer super netten, und für das Projekt zuständigen, Doktorandin teilen durfte. Das Thema war Grundwasserversalzung in küstennahen Gebieten.
Des Weiteren habe ich drei Fachkurse besucht, die jedoch erst mehrere Wochen nach Semesterstart begannen. Außerdem habe ich an dem Kurs „Introduction to Greek Culture and Civilization“ teilgenommen, der ergänzend einen Kurs für griechisch-traditionellen Tanz enthielt – super spannend und unterhaltsam. Es wurde viel über griechische Sagen gelehrt und die Entstehung der Demokratie.
Insgesamt war das Semester teils schon chaotisch und meine ursprünglich gewählten Kurse haben nicht stattgefunden. Dafür gab es jedoch tolle Expeditionen zu schwefligen und thermischen Wasserquellen, es wurden Höhlen besichtigt, Flüsse abgegangen etc.
Somit gab es also tolle Momente während des Studiums. Ich habe neue Methodiken in meiner Disziplin gelernt und auch viele Einblicke in die Herausforderungen des griechischen Bildungssystems erhalten. Es sollte einem jedoch bewusst sein, dass ein gewisses Maß an Flexibilität schon wichtig ist. Ebenfalls war es ein bisschen schade, dass ich keine Kurse zusammen mit den griechischen Studis der Uni Patras hatte.
Fazit
Graffiti an den Wänden, kein Banksy - vielmehr wilde Tags. Bedeutungslos, nicht schön. Trotzdem überall zu sehen. Die Stadt ist voll damit. Ein halbfertiges Haus. Baustellen liegen brach, schon seit langem. An den Ecken der Straßen sammeln sich Cafés. Es sitzen meist mehrere Personen davor. Klapprige Tische mit wackelnden Stühlen. Espresso Fredo – ein kalter starker Kaffee. Dazu, selbstgedrehte Zigaretten. Es wird viel gelacht, die Unterhaltungen sind häufig laut. Worum es geht? Keine Ahnung, sie sprechen griechisch. Roller mit zu lautem Auspuff. Es stinkt nach Abgasen. Ältere Frauen füttern Straßenkatzen, die sind überall. Wenn es regnet hört man sie um die trockenen, überdachten Plätze streiten. Es ist ein lautes Geschrei.
Es regnet im Winter häufig. Nicht nur ein paar Tropfen, es sind vielmehr apokalyptische Starkniederschläge. Regenschirm hin oder her, du bist danach nass. Die Stadt Patras ist runtergerockt, kein Zweifel. Wie ein Paar weiße Sneaker, die man zu oft zu Partys anhatte. Es fehlt an Geld, es fehlen Jobs und manchmal auch Perspektiven. Es gibt immer wieder Demonstrationen. Wirtschaftskrisen, Privatisierungen und Korruption haben ihre Spuren hinterlassen. Ein Großteil der Industrie ist weg. Der große Hafen in Piräus an chinesische Investoren verkauft. Häufig kommt es zu Ausschreitungen. In Griechenland scheint mehr als nur einmal im Jahr 1. Mai zu sein…
Und trotz allem, ist die Gastfreundschaft unerbittlich. Überall wird man mit einem Lächeln begrüßt. Es herrscht eine gute Stimmung auf den Straßen. Überall kann man wunderbare blühende Landschaften sehen. Zu allen Festen wird groß dekoriert. Die Schaufenster werden in liebevoller Detailarbeit handbemalt. Es gibt auch keine Vorbehalte gegenüber Deutschen. Angestellte sprechen gerne englisch in Restaurants und Cafés. Vielen Problemen wird mit pragmatischen Lösungen entgegnet. Und hat man manchmal das Gefühl, man findet für etwas keine Lösung, dann geht es überraschend auf einmal doch.
Sowohl die Griechinnen und Griechen als auch die anderen internationalen Studis waren alle super. Als habe man sich im Stillen darauf geeinigt, eine tolle Zeit zusammen zu haben. Und war mal jemand traurig oder übellaunig, wurde alles darangesetzt, die Person wieder aufzuheitern. Patras ist eine Reise wert. Wenn man die Chance hat hier ein Semester zu verbringen sollte man sie nutzen. Aber erwarte nicht das Hilton, sondern vielmehr eine liebevolle und leicht schmuddelige Wohngemeinschaft, die dich mit offenen Armen empfängt und nicht fragt, wie lange Du bleiben möchtest…