Darüber diskutierten nach einem Impulsvortrag von Andreas Wittke in einem „Lehrschnack“ an der Technischen Hochschule Lübeck am 22.03.2023 Vertreter*innen aus Studium und Lehre in einer hybriden Fishbowl-Diskussion. Fazit: Spannend. Regeln finden. Dranbleiben!
Mit ChatGPT, einer künstlichen Intelligenz (KI) zur Textgenerierung, kommen auf die Hochschulen gewaltige Veränderungen zu. War Google der Archivar, der nach Anfrage in Sekunden mit tausenden von Quellen auf der Bildfläche erschien, gibt ChatGPT nun vor, ein kluger Alleswisser zu sein, der scheinbar auf jede Frage eine wohlklingende Antworte liefert. „Die Möglichkeiten der Anwendung sind unendlich“, so Wittke, „da fließt so viel Geld, dieses Tool wird bald sehr gut sein.“ Haupteinsatzfeld sei derzeit das Programmieren, es folgen die Aufgaben Texte schreiben und Kundenservice. Unser aller Arbeitsalltag werde sich ändern: „KI ersetzt nicht grundsätzlich Menschen. Aber Menschen, die KI nutzen, werden bald Menschen ersetzen, die keine KI nutzen.“ Sein Appell: „Probieren Sie es aus!“
Das tun derzeit viele: Das „Schweizer Taschenmesser der Bildung“ ist die erfolgreichste Anwendung aller Zeiten. Nur fünf Tage nach dem Launch im November 2022 hatte ChatGPT bereits eine Million Nutzer. Zum Vergleich: Spotify hat für diese Nutzerzahl im Jahr 2008 noch fünf Monate gebraucht. Für die Hochschulen lautet die Herausforderung der nächsten Monate: Lernen, Anwenden, Regeln finden. ChatGPT kann theoretisch Prüfungsaufgaben formulieren, Prüfungen schreiben, Prüfungen korrigieren, Prüfungen bewerten und Zeugnisse formulieren. Da sind klare Regeln gefragt.
„Ich bin gespannt, wo es uns hinführt. Wir wollen das als Chance nutzen“, sagt Prof. Jochen Abke, Vizepräsident Studium und Digitalisierung. Aktuell wird an einer Handreichung für Studierende gearbeitet; die Verknüpfung digitalen und analogen Praktiken werde zukünftig noch mehr als bisher in den Vordergrund der Lehre gerückt werden. Noch überwiegen bei der Nutzung von ChatGPT die Probleme: Prof. Nane Kratzke wies auf die vielen Fehler hin, die derzeit noch ausgespuckt werden. „Die KI erkennt keine Zusammenhänge, aber ist ein guter Sparringspartner“, sagt er. „Man muss wissen, wie man damit umgeht, damit die Ergebnisse verwertbar sind.“
Und wo steht die TH Lübeck im Moment? Fachleute unterscheiden im Reifungsprozess der Technologieentwicklung vier Phasen: Am Anfang entsteht ein Hype, der „Gipfel der überzogenen Erwartungen“. Dann folgt das „Tal der Enttäuschung“, weil die Technik noch nicht vollkommen, der Einsatz nicht sinnvoll ist. Nach einer Regenerationszeit folgt der „Pfad der Erleuchtung“. Schlussendlich gelangt man, wenn es gut läuft, zum „Plateau der Produktivität“. Eine digitale Umfrage während der gut besuchten Veranstaltung ergab: Das Publikum an der TH Lübeck teilt sich auf die ersten drei Phasen auf. Digital-Pionier Andreas Wittke ist sicher: „Wir befinden uns auf dem Pfad der Erleuchtung.“
Der Weg dahin ist allerdings noch steinig. „Hochschulen sind in der Pflicht, das Prüfungsrecht zu regulieren und zu gestalten“, mahnt Arne Krieger, Justiziar an der TH Lübeck an. Das fordern auch die Studierenden: Ohne klare Regelungen über den Einsatz von KI in Prüfungen werde der Hochschulabschluss sonst mittelfristig entwertet. „Mehr Können, weniger Wissen“, fasst es Denzel Marlon-Kuhlemann, Student am Fachbereich Elektrotechnik und Informatik, zusammen. Alle auf dem Podium sind sich einig: Zukünftig wird die schlaue Verknüpfung von analoger und künstlicher Intelligenz im Mittelpunkt der Lehre stehen.