Als Professor Michael Bischoff Ende 2019 ein Forschungssemester zum Thema „Stand der Hochschullehre“ begann, ahnte er nicht, dass eine Pandemie die Hochschullehre umfassend vor neue Herausforderungen stellen würde. Mit dem Forschungssemester verfolgte Bischoff das Ziel, die Lehre speziell an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) unter die Lupe zu nehmen und Ansätze für die Weiterentwicklung von Lehre und Studienangeboten auszuarbeiten. Von November 2019 bis Februar 2020 stellte er sich u.a. die Fragen: Welche didaktischen Hilfestellungen stehen Lehrenden an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften zur Verfügung und wie werden Sie genutzt? Wie kann Lehre in Anbetracht steigender Anforderungen von Lehrenden effizient gestaltet werden? Welchen zukünftigen Aufgaben muss sich Lehre heute stellen und nicht zuletzt: Welche Methoden und Konzepte sind innovativ und wie können digitale Medien dabei helfen, die hochschul- und mediendidaktische Qualifikation für Lehrende zu steigern?
In Zusammenarbeit mit dem Institut für Lerndienstleistungen (ILD) untersuchte Bischoff, wie die Qualität der Lehre durch digitale Medien optimiert werden kann und wie die Lehrenden langfristig mediendidaktische Qualifikationen aufbauen können. Durch die Corona-Pandemie hat Bischoffs Forschungssemester einen unerwarteten Aktualitätsbezug erfahren. Plötzlich stand die Notwendigkeit im Raum, digitale Lehre nicht nur als Bestandteil von Präsenzlehre, sondern als adäquaten Ersatz für die herkömmliche Lehre in die Praxis zu bringen. Studierende waren davor zu bewahren, ein Semester durch einen Lockdown zu verlieren.
Im Vergleich zu vielen anderen Hochschulen verfügte die TH Lübeck zu diesem Zeitpunkt durch die Virtuelle Fachhochschule bereits über umfassende Erfahrungen mit dem Online-Studium in der Weiterbildung. Die vorhandene IT- Infrastruktur konnte innerhalb weniger Tage durch das Rechenzentrum, das ILD und die oncampus GmbH unter Beteiligung der Lehrenden so ausgebaut werden, dass die Lehre zu nahezu 80 % in den digitalen Raum verlagert werden konnte. Die Professor:innen konnten unterschiedliche digitale Methoden und Werkzeuge ausprobieren. Zu den wichtigsten Plattformen gehört das Moodle-System, das bereits vor der Umstellung auf digitale Lehre von der TH Lübeck genutzt wurde.
Durch den Lernraum Moodle konnten die Lehrenden mit ihren Studierenden in Kontakt bleiben und ihre Kursdokumente verwalten. Um den visuellen Aspekt einer Vorlesung zu ermöglichen, haben die Professor:innen über die Videokonferenzsystem BigBlueButton und Jitsi mit ihren Studierenden kommuniziert und Lerninhalte vermittelt. Sogar Lernsequenzen aus Video, Audio und Präsentation konnten mit Screencast-Software aufgenommen werden. So sind beispielsweise Lehrvideos für Studierende aus China entstanden, die aufgrund der Corona-Pandemie nicht an die TH kommen konnten.
Die Lehrenden der TH Lübeck zeigten eine beispiellose Bereitschaft und Flexibilität bei der Wahl ihrer persönlichen Lehrszenarien. Intensiv genutzt wurden die Elemente des digitalen Lernraums, Videokonferenzsysteme und Screencasts. Interaktives Lernen in Break-out-Räumen standen neben Selbstlerneinheiten oder Einsendeaufgaben im Repertoire der Lehrenden.
Da der Beginn der Pandemie noch in den Zeitraum seines Forschungssemester fiel, konnte Professor Bischoff einen Teil seiner eigenen Ansätze für die digitale Lehre in die Forschungsergebnisse einbeziehen. Er gestaltete sein Homeoffice mit Kamera- und Audiosystemen, Greenscreen und Lightboard, gleichzeitig zu Aufnahme-, Übertragungsstudio und Vorlesungsraum um. Bei der didaktischen Gestaltung seiner Veranstaltungen konnte er auf vorangegangene Erfahrungen im Rahmen des Forschungssemesters zurückgreifen. In vielen Belangen nutze er die technischen Voraussetzungen jedoch für ein Erproben der Möglichkeiten.
In seinem Modul Immissionsschutz fanden Echtzeit-Vorlesungen im BigBlueButton statt. Die Studierenden erhielten hierzu Begleittexte im pdf-Format. Rechnungen fanden in Lightboard-Sitzungen statt, die durch Fragen und Antworten über Mikrofon oder das Chat begleitet wurden. Ob sie die aktuellen Lerninhalte schon richtig verstanden haben, prüften die Studierenden in einem wöchentlichen Online-Test. Um offene Fragen zu klären gab es einmal wöchentlich ein Tutorium über Videokonferenzsysteme und eine Sprechstunde mit den Lehrenden.
Im Modul Betrieblicher Umweltschutz konnten die Studierenden durch Fragenkataloge vor und nach den jeweiligen Themenvorlesungen ihren Lernfortschritt selbst messen. Parallel dazu wurden reale Praxis-Projekte mit verschiedenen Unternehmen durchgeführt, die zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Lerninhalten führten. Für die Kooperation mit den Unternehmen stand das Videokonferenzsystem Jitsi zur Verfügung. Die Ergebnisse wurden sowohl in Kleingruppen (Break-out-Räume) als auch im online-Plenum ausgetauscht.
Die gewonnenen Erfahrungen zeigen nach Auffassung von Professor Bischoff, dass der Unterricht mit Hilfe des Lightboards sehr gut bei den Studierenden ankommt. Im Modul Betrieblicher Umweltschutz verzeichnet Bischoff eine Begeisterung für seine Greenscreen Hintergründe, die immer passend zum jeweiligen Thema gewählt werden.
Die Beteiligung bei seinen Echtzeit-Veranstaltungen beurteilt Bischoff als nahezu besser als in Präsenzveranstaltungen. Er führt dies u. a. darauf zurück, dass die Studierenden sich durch die Wahrnehmung im digitalen Raum fast wie im Eins-zu-eins-Unterricht fühlten. Die Studierenden selbst hatten das Gefühl, dass mehr Zeit und Raum für Fragen und Diskussionen bestand und genutzt wurde als in Präsenz.
Das Sommersemester 2020 war eine prägende Herausforderung für alle Beteiligten. Der For-schungsbericht von Professor Bischoff zeigt jedoch, dass die TH Lübeck schnell auf die Ausnahmesituation reagieren konnte und die Lehrenden sowie Studierenden neues Wissen im Umgang mit der digitalen Lehre erworben haben.
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Fachbereich Angewandte Naturwissenschaften