Schon in den Vorbereitungswochen, in den sogenannten Kompaktwochen, und vor Beginn der offiziellen Vorlesungszeit erleben die Erstsemester des Bauwesens Praxis von Anfang an. Die Professor*innen aus dem Bauingenieurwesen lassen dabei ihre Kontakte zur Bauwirtschaft spielen und organisieren für die Studierenden des ersten Semesters beider Baurichtungen des Fachbereichs, also der Architektur oder des Bauingenieurwesens, Exkursionen in die Welt der Baupraxis. Sie füllen damit das gemeinsame projektorientierte Zusammenwirken von Architektur und Bauingenieurwesen mit Leben.
In diesem Jahr hatten die rund 90 Erststudierenden der Architektur und des Bauingenieurwesens der beiden Studiengänge Gelegenheit, sich im Rahmen einer Exkursion zu einer Autobahnbaustelle über tiefbauliche Maßnahmen im Verkehrswegebau, über Baulogistik und -unterhaltung zu informieren.
Pünktlich um neun Uhr starteten die vom Fachbereich gemieteten Busse zur Autobahnbaustelle auf der Bundesautobahn A1. Hier am Los 3, wie der Baustellenabschnitt zwischen Dreieck Bad Schwartau und Anschlussstelle Bad Schwartau von Ronny Westendorf und seinem Kollegen Peter Niebelschütz vom Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein (LBV), Niederlassung Lübeck, bezeichnet wird, begann der praktische Teil der Exkursion.
Während Eckhard Templin, LBV-Sachgebietsleiter Baudurchführung Neubau, den Studierenden den Baustellenbetrieb sowie die baulichen Maßnahmen Schritt für Schritt erläuterte, erklärte Westendorf die Aufgaben der Bauüberwachung. Westendorf und Niebelschütz sind Bauüberwacher. Zu ihren Aufgaben gehört es, sämtliche Arbeiten auf der gesamten Baustelle zu überwachen, mit den Firmen Aufmaße zu erstellen, auftretende Probleme möglichst schnell zu lösen und gemeinsam mit Kolleg*innen das sogenannte Bautagebuch zu führen. Ähnlich dem Logbuch in der Schifffahrt, wird darin erfasst, welche Tagesleistung die beauftragte Baufirma erbracht hat, was an Material geliefert, was verarbeitet wurde oder wie das Wetter war. „Wir sind sozusagen das sehende Auge für die Ingenieur*innen…“, sagte Bauüberwacher Westendorf.
Während des rund anderthalbstündigen Aufenthalts auf der Baustelle erläuterte Templin die einzelnen Bauabschnitte, erklärte das Bauverfahren und beschrieb die verkehrslogistische Herausforderung, den laufenden Verkehr möglichst gering durch den Baubetrieb zu behindern. Der LBV hat die Dauer der Bauzeit mit rund fünf Jahren veranschlagt. Baubeginn war 2015 und wohl Ende 2019 sollen die gesamten Arbeiten abgeschlossen und die BAB A1 in diesem Teil wieder freigegeben werden.
Die LBV-Verwaltungsangestellte Susann Sommerburg sieht in dem Besuch der Studierenden eine gute Gelegenheit, den Fachkräftenachwuchs zeitig anzusprechen und den Beruf des Bauingenieurs, der Bauingenieurin attraktiv darzustellen. „Wir haben die tolle Baustelle vor der Tür. Daran können wir zeigen, was so alles passiert und welche Anforderungen an das Berufsbild gestellt werden. Gleichzeitig können wir den Studierenden etwas Praxis vermitteln“, sagte Sommerburg.
Je nach Studiengang äußerten sich die Studierenden unterschiedlich über den Wert der gemeinsamen Exkursion. Einig waren sie sich in Bezug auf die gemeinsame Ausbildung. Für Architekturstudierende mache es noch nicht so viel Sinn, die Praxis von Tiefbaubaumaßnahmen zu begleiten. Dennoch sei es wichtig zu erfahren, wo es Berührungspunkte zwischen der Architektur und dem Bauingenieurwesen gibt. Darüber hinaus wäre es schon interessant zu sehen, wie die Baumaßnahme nach Fertigstellung aussieht und besonders interessant ist es, die Abläufe auf einer Baustelle zu begreifen. So könne man später in der beruflichen Praxis Wert darauflegen, dass das Zusammenspiel zwischen den beruflichen Orientierungen passt.
„Auf jeden Fall ist es sinnvoll, sich mal eine Autobahnbaustelle anzuschauen, schon allein wegen des Zusammenspiels in den Abläufen, damit man sie versteht. Es sind ja unterschiedliche Herangehensweisen, die übertragbar sind auf andere Baumaßnahmen“, sagte Finn Popp, Student der Architektur.
Architekturstudentin Shaila Sindi äußerte sich in ähnlicher Weise und ergänzte mit den Worten: „Später, nach der Ausbildung, werden wir Hand in Hand arbeiten. Unsere Wege werden sich immer wieder auf den Baustellen kreuzen, insofern finde ich es sinnvoll, dass wir die Welt der Bauingenieur*innen sehen dürfen und umgekehrt. Für das spätere Zusammenarbeiten lernt man so eine einheitliche Sprache und versteht sich.“
Marek Ewert studiert Bauingenieurwesen. Er hat eine handwerkliche Ausbildung im Hochbau abgeschlossen und fand die Exkursion sehr spannend, weil er auch mal die andere Seite, also den Tiefbau, in Augenschein nehmen konnte. „Es ist noch einmal etwas anderes, eine Baustelle auf der Autobahn zu besuchen als täglich nur daran vorbeizufahren. Man versteht die Abläufe besser und sieht was von statten geht“ äußerte er seine Sicht auf den Wert der Exkursion. Den Sinn des gemeinsamen Besuchs sieht er darin, „… dass die Leute mal auf einer Baustelle waren, sich ein eigenes Bild machen können, weil einige nicht wissen, was eine Baustelle ist, wie sie aufgebaut…, was zu beachten ist oder wie die Abläufe sind. Denn einige meiner Kommiliton*innen gehen ohne eine handwerkliche vorgeschaltete Ausbildung ins Studium. Ein Baustellenbesuch ermöglicht mit Leuten aus der Praxis ins Gespräch zu kommen, um darüber eine Vorstellung zu erhalten, was später einmal auf sie zukommt. Denn das Berufsbild ‚Bauingenieur*in‘ ist facettenreich und ermöglicht später ein weites fachliches Spektrum“, schließt Ewert seine Bewertung.