Diese Annahme ist natürlich irreleitend und könnte am Anfang des ungewöhnlichen Forschungsprojektes der Technischen Hochschule Lübeck stehen. Dr. Leef Dierks, Professor für Investition und Finanzierung und Internationale Kapitalmärkte an der TH Lübeck, und seine neue Forschungsassistentin, die BWL Bachelorabsolventin Sonja Tiggelbeck untersuchen aus der Perspektive der Verhaltensökonomie die Irrationalität der menschlichen Entscheidungen in Bezug auf die Geldwirtschaft. Sie versuchen dabei, möglichen irrationalen Verhaltensmustern auf die Schliche zu kommen und nach den alltäglichen und menschlichen Kriterien zu suchen, die eine Entscheidungsfindung beeinflussen.
Die Verhaltensökonomie, seit 2017 wieder in aller Munde, beschäftigt sich u.a. mit der Schnittmenge zwischen wirtschaftswissenschaftlicher Theorie und menschlichem Verhalten. Sie untersucht u.a. warum wir mit Geld so umgehen, wie wir es tun und wie unsere Investitionsentscheidungen zu Stande kommen. Auf die heutige aktuelle Zinssituation bezogen, gilt es zu untersuchen, warum sparen die Menschen und legen ihr Geld auf die ‚hohe Kante‘ in Zeiten eines äußerst niedrigen Zinses?
„In der Regel gehen wir in den Wirtschaftswissenschaften davon aus, dass der sog. homo oeconomicus, der Wirtschaftsmensch also, stets rational agiert und seinen ökonomischen Nutzen zu maximieren sucht. Nur: diesen homo oeconomicus gibt es nur in der Theorie. Die Realität sagt etwas Anderes. Die Verhaltensökonomie zeigt, dass menschliche Entscheidungen zumeist nicht hundertprozentig rational erfolgen, sondern Menschen systematische Fehler machen“, sagt Dierks.
In dem Forschungsprojekt verfolgen er und Tiggelbeck daher die Fragestellung, wie wir Menschen Entscheidungen im Hinblick auf finanzielle Sachverhalte treffen. Sie leiten daraus ihren Forschungsansatz ab und führen die Annahme von den besseren Kaufleuten im kühlen Norden ins Klischeehafte. „Die moderne Welt Wirtschaftswissenschaften geht immer davon aus, dass wir rationale Entscheidungen treffen mit dem primären Interesse, unseren finanziellen Nutzen zu maximieren. In diesem Ansatz wenden wir uns nicht mehr nur allein mathematischen Wirtschaftsmodellen zu, sondern wollen uns von Seiten der Psychologie und der Spieltheorie nähern“, beschreibt Dierks den Kern des Vorhabens.
Ein weiterer Grund für dieses ungewöhnliche Projekt ist für Dierks der Umstand, ungewohntes Terrain für seinen Fachbereich zu betreten. Da an der Hochschule zu dem Themenbereich der Verhaltensökonomie weder gelehrt noch geforscht wird, und entsprechend keine nennenswerten Vorarbeiten erbracht wurden, betritt der Fachbereich hierzu Neuland. Vor der Tatsache, dass die Verhaltensökonomie, ungeachtet ihrer Relevanz an der TH Lübeck, bislang eher ein Schattendasein fristet, hat Dierks dieses Projekt auf den Weg gebracht mit dem Ziel, die BWL in Lübeck thematisch zu erweitern.
Neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen über mögliche irrationale Verhaltensmuster ist dabei ein erstes Teilziel des Forschungsvorhabens der kontinuierliche Aufbau einer verhaltensökonomischen Expertise am Fachbereich. Ein zweites Ziel ist, nach entsprechender Ergebnislage und Einarbeitung, die Grundlagen der Verhaltensökonomie in den Vorlesungsplan des Masterstudiengangs BWL aufzunehmen.
Um sich in den Themengebieten des Fachbereichs, im Maschinenbau, dem Wirtschaftsingenieurwesen und der Betriebswirtschaft forschungsstärker zu positionieren, hat die Fachbereichsleitung seinen forschungsinteressierten Wissenschaftler*innen angeboten, sogenannte Forschungsassistenzen einzurichten, die die Forschungsarbeiten unterstützen. Gesagt, getan.
Bereits zum Wintersemester 2018/ 2019 erhielt das Projektvorhaben von Dierks eine Verstärkung. Sonja Tiggelbeck ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsvorhaben „Behavioural Economics“. Im Rahmen des Projektes untersucht sie die Irrationalität der menschlichen Entscheidungen und ihre Implikationen auf die Geld- und Kapitalmärkte.
Dierks verfolgt mit diesem Thema ein drittes Ziel: die Nachwuchsförderung. Er denkt darüber nach, die Forschungsassistenz in eine „Kooperative Promotion“ zu überführen. „Allerdings können hierzu noch keine definitiven Aussagen getroffen werden, da eine Kooperative Promotion von weiteren externen dritten Partnern abhängig ist und den Masterabschluss voraussetzt. In jedem Fall aber ist eine solche Möglichkeit im Sinne des wissenschaftlichen Nachwuchses durchaus erstrebenswert“, sagt Dierks über die Nachwuchsförderung als mittelfristige strategische Zielsetzung.