Mit unbefangener Neugier genau beobachten
Promotion am Fachbereich Bauwesen
Forschung heißt für mich, dass ich keine Erwartung darüber habe, was ich vorfinden werde. Wenn man zu konkrete Fragen stellt, ist man nicht offen für das, was man finden könnte.
Anika Slawski
Promotionen im Bereich Bau sind zunächst eher ungewöhnlich, aber möglich. Mich interessieren vor allem die Produktion, Entstehung und Gestaltung von Orten in der Stadt durch und mit Menschen. Meine kooperative Promotion zum Thema „Placemaking in Südostasien“ fällt genau in diesen Bereich. Ich arbeite an der Technischen Hochschule Lübeck, forsche zu einem Thema in Südostasien, werde betreut von Prof. Frank Schwartze an der an der Technischen Hochschule Lübeck und von Prof. Dr. Ursula Kirschner an der Leuphana Universität Lüneburg. Am Ende reiche ich meine Dissertation am Institut für Stadt- und Kulturraumforschung an der Leuphana Universität ein.
Ich habe an der HafenCity Universität in Hamburg Stadtplanung im Bachelor studiert und parallel dazu in einem Stadtplanungsbüro in Lübeck gearbeitet. Damals habe ich gemerkt, dass mich vor allem der öffentliche Raum und der Städtebau interessieren, daher wechselte ich für den Master zum Studiengang Städtebau und Ortsplanung an die TH Lübeck. Meine Masterarbeit habe ich zum Thema „Stadt in Bewegung – über das untrennbare Zusammenspiel von Stadtraum und Mobilität“ am Beispiel der Beckergrube in Lübeck angefertigt. Das hat meine Leidenschaft für diesen Bereich gestärkt. Mich interessiert der öffentliche Raum und die Möglichkeiten, die Qualität dieser Räume für die Menschen, die sich in ihnen aufhalten, sie beleben und bespielen, zu verbessern. Nach dem Studium habe ich gemerkt, dass ich mein Wissen in diesem Bereich weiter vertiefen möchte.
Suche nach nachhaltigen Lösungsansätzen in Südostasien und China
Ich wurde dann wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Bau, habe aber gleichzeitig freiberuflich weitergearbeitet. Als das spannende Forschungsprojekt SURE – Sustainabe Development of Urban Regions“ bewilligt wurde, habe ich meinen Fokus auf die Forschung gelegt. Im Rahmen von SURE erarbeiten zehn Verbundprojekte lokal umsetzbare Strategien für urbane Regionen Südostasiens und Chinas, um dort unter anderem die Lebensqualität und einen zukunftsfähigen Umgang mit Ressourcen zu fördern. 70 Prozent der Weltbevölkerung wird bis zum Jahr 2050 in Städten leben. Ein Ziel von SURE ist es daher, nachhaltige Lösungsansätze vor Ort zu finden und eine mögliche Übertragbarkeit der Lösungen auf andere urbane Kontexte zu diskutieren. Durchgeführt wird die Begleitforschung von der HafenCity Universität Hamburg, der Technischen Hochschule Lübeck sowie der TÜV Rheinland Consulting GmbH.
Meine Promotion ist thematisch im Kontext dieses Projekts situiert. Mein Thema ist die Mensch-Raum-Beziehung und die Entstehung von Orten – Places – durch Menschen. Das sogenannte Placemaking erforsche ich in schnell wachsenden Städten am Beispiel von Phnom Penh in Kambodscha und Hanoi in Vietnam. Vier Wochen habe ich zusammen mit lokalen Forscher*innen vor Ort qualitative Feldforschung betrieben. Wir haben unter anderem die Bewegung im Raum und dann das Verhalten unterschiedlicher Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten skizziert, haben genaustens – mit unbefangener Neugier – beobachtet und erforschten die Spuren menschlicher Aktivitäten im Raum. Was passiert wann und wo? Wer bewegt sich wann wohin? Zu welcher Tageszeit dehnt sich das Leben im Raum aus, wann zieht es sich zurück – wie ist also der Rhythmus des Ortes? Wie sind die Gerüche, wie sind die Geräusche und wie ist die Atmosphäre? Was überrascht? Im nächsten Schritt werden die empirischen Erkenntnisse anhand der Aussagen von Expert*innen vor Ort und theoretischer Grundlagen reflektiert.
Beobachten, ergebnisoffen auswerten, Erkenntnisse ableiten
Wichtig ist, dass aufmerksam – fast naiv – beobachtet und ergebnisoffen ausgewertet wird, bevor man zu Erkenntnissen kommt. Ich arbeite nach dem Ansatz der Grounded Theory, einer Methode aus der Sozialforschung zum Entwickeln einer Theorie auf der Grundlage empirischer Daten. Wenn man zu konkrete Fragen stellt, ist man nicht offen für das, was man finden könnte. Forschung heißt für mich, dass ich keine Erwartung darüber habe, was ich vorfinden werde. Erst die Forschung, dann die Auswertung. Die Möglichkeiten der Anwendung kommen später. Ich arbeite in dieser Phase meines Lebens viel und gern. Neben meiner Promotion und der Arbeit im Forschungsprojekt lehre ich und darf Studierende betreuen. Ich bin in der privilegierten Situation, dass ich mich jeden Tag fachlich und persönlich weiterentwickeln kann. Der Weg ist das Ziel. Das ist eine sehr bereichernde Erfahrung.
Anika Slawski
Promotion im Fachbereich Bauwesen zum Thema „Placemaking in Südostasien