Das Projekt wurde in zwei Phasen durchgeführt. In Rahmen mehrerer Messprogramme wurden zunächst eine Bestandsaufnahme der für Schleswig-Holstein typischen Kläranlagen hinsichtlich des Vorkommens und des Rückhaltes durchgeführt (Phase 1). Darauf aufbauen wurden theoretische Grundlagen für ein vertieftes Verständnis und eine empirisch begründete Prognose des Spurenstoff-Rückhaltes erarbeitet (Phase 2).
Phase 1
Das Ziel der Studie ist die Ableitung von Kennwerten, die die Prognose von Spurenstoff-Frachten im urbanen Wasserkreislauf ermöglichen. Hierzu zählen insbesondere spezifische Zu- und Ablauffrachten. Darüber hinaus wird die Belastung des Rohabwassers sowie die spezifische Eliminationsleistung einzelner Verfahrens¬stufen bestimmt. Berücksichti¬gung finden Kläranlagen, wie sie derzeit typisch für Schleswig-Holstein sind. Diese Kläranlagen sind dem Stand der Technik entsprechend für eine Nährstoff¬elimination (C, N, P) mit einer Belebungsstufe und ggf. weitergehender biologischer oder physikalischer Stufen (z. B. Tropf¬körper, Filtration) ausgestattet. Nicht untersucht wurden Verfahrensstufen, die als sog. Vierte Reinigungsstufe (z. B. Ozonung, Aktivkohlefiltration) dem gezielten Rückhalt von Spurenstoffen dienen. Die Untersuchung ergänzt zahlreiche vorherige deutsche und internationale Studien um eine schleswig-holsteinische Perspektive. Insgesamt werden 50 Spurenstoffe berücksichtigt, die aus verschiedene Quellen stammen (Schwermetalle, Arzneistoffe, Pflanzen¬schutz¬mittel, Polyzyklische Aromatische Kohlen¬wasserstoffe [PAK] sowie weitere Industrie- und Haushalts-chemikalien). Die in dieser Studie berücksichtigten Stoffe orientieren sich an zuvor in Schleswig-Holstein in Kläranlagenabläufen und in Oberflächengewässern nachge¬wiesenen Substanzen.
Die Studie berücksichtigt hierbei gemeinsam das Vorkommen von Spurenstoffen und multiresistenten Keimen in einem integrierten Messprogramm. Die Abwasserproben wurden quantitativ auf 3. Generations Cephalosporin resistente E. coli (3GCREC) als Markerorganismus untersucht. Repräsentative Isolate der isolierten 3GCREC wurden mittels Gesamt-genomsequenzierung weitergehend charakterisiert. Diese Methode erlaubt auch die Identifikation von 4-fach multiresistenten Gram-negativen Erregern (4MRGN), die auch resistent gegen¬über den als Reserveantibiotika geltenden Carbapenemen sind. Insbesondere als 4MRGN klassifizierte Erreger stellen eine besondere Herausforderung in der Medizin dar.
Anhand von zwei separaten Messkampagnen wurden unterschiedliche Aspekte in den Fokus genommen. In einem Intensiv-Messprogramm wurden im Besonderen einzelne Verfahrensstufen sowie deren Eliminationsleistung untersucht. Dieses Messprogramm dient zur verfahrens-spezifischen Beurteilung des Spurenstoffrückhalts und für eine Massenbilanzierung, die die Identifikation relevanter Senken erlaubt. In einem anschließenden Routine-Messprogramm wurde auf Basis monatlicher 7-Tages-Mischproben des Rohabwassers und des Kläranlagenablaufs die saisonale Varianz der Zulauffracht und der Eliminationsleistung untersucht.
Hinsichtlich des Rückhaltes von Spurenstoffen erweisen sich in den untersuchten Kläranlagen der biologische Abbau und die Sorption als relevante Mechanismen. Weitere abiotische Prozesse (Hydrolyse, Photolyse) oder Strippung kommen bei diesen Verfahren nur im Einzelfall zum Tragen und sind meist nicht relevant. Anhand bekannter Stoffkennwerte (Sorptionskoeffizient kd und Biodegradationskonstante kbio) können Spurenstoffe in Gruppen eingeteilt werden. Diese Stoffgruppen fassen Einzelstoffe mit ähnlichen Eigenschaften bezüglich der vorgenannten Mechanismen zusammen. Sie erlauben somit bei Kenntnis der Stoffeigenschaften auch die Prognose des Verhaltens von Stoffen, die nicht in dieser Studie berücksichtigt wurden.
Die Ergebnisse zeigen, dass gut biologisch abbaubare Stoffe (z. B. einige Arzneistoffe) und sorptionsaffine Stoffe (v. A. Schwermetalle und PAK) in der mechanisch-biologischen Abwasser-reinigung gut zurückgehalten werden können. Als relevante Verfahrensstufe ist hierbei die Belebungsstufe anzusehen, in der einerseits der größte Anteil des biologischen Abbaus statt-findet. Für sorptionsaffine Stoffe stellt der aus der Nachklärung abgezogene Überschussschlamm die relevante Senke dar. Diese Stoffe akkumulieren sich nach der Schlamm¬behandlung im Klärschlamm. Im Rahmen üblicher und in der Praxis umsetzbarer Betriebsparameter (Schlammalter, Schlammbelastung, Trockensubstanzgehalt) kann nur ein marginal verbesserter Spurenstoffrückhalt in der Belebungsstufe erfolgen.
Stoffe, die nicht sorptionsaffin sind und die nicht oder nur mäßig biologisch abbaubar sind, werden nicht oder nicht vollständig in der konventionellen biologischen Abwasserreinigung zurückgehalten. Zu diesen Stoffgruppen zählen aufgrund der erforderlichen Stoffeigenschaften u. a. viele Arzneistoffe und Pflanzenschutzmittel. Zudem ist zu vermuten, dass weitere als Industrie- oder Haushaltschemikalien eingesetzte Substanzen nicht vollständig zurückgehalten werden.
Es zeigt sich, dass bei der konventionellen mechanisch-biologischen Abwasserreinigung eine deutliche Reduzierung der multiresistenten Keime im Wasserpfad (2,46 bis 4,31 log-Stufen) erfolgt. Dieses ist in erster Linie auf den Rückhalt suspendierter Stoffe v. A. in der Nachklärung zurückzuführen, da die Keime i. d. R. feststoffgebunden sind. Dennoch verbleiben im Kläranlagenablauf im Mittel rund 103 3GCREC Erreger pro Liter. Durch eine UV-Desinfektion lässt sich die Anzahl deutlich reduzieren. Als relevante Senke für Keime ist hingegen der Klärschlamm anzusprechen, der im Rahmen dieser Studie nicht auf das Vorhandensein von multiresistenten Keimen untersucht werden konnte.
Vorliegende Studie umfasst nicht die Beurteilung einer ökotoxikologischen Bewertung bezüglich der in die Gewässer eingetragenen Stofffrachten. Kommt eine entsprechende Betrachtung zu dem Ergebnis, dass einzelne Stoffe der nicht vollständig zurückgehaltenen Stoffgruppen ein ökotoxikologisches Risiko darstellen, ist zwangsläufig die Implementierung einer weiteren Verfahrensstufe erforderlich. Die Betrachtung dieser sog. Vierten Reinigungsstufe ist ebenfalls nicht Gegenstand dieser Studie.
Phase 2
Für den Rückhalt anthropogener Spurenstoffe in der kommunalen Abwasserreinigung stellen die Sorption am Belebtschlamm sowie der biologische Abbau die dominierenden Mechanismen dar. Beide Prozesse lassen sich durch Modelle beschreiben. Zur Ermittlung der Eliminationsraten müssen die Biodegradationskonstante kbio sowie der Sorptionskoeffizient kd bekannt sein. Während des Betriebs von kommunalen Kläranlagen können beide Parameter nur abgeschätzt werden, da in der Regel die Stoffwechselvorgänge in der Belebung durch Kreislaufströme (z. B. Trübwasser aus der Schlammbehandlung) beeinflusst wird. Daher werden die genannten Parameter daher häufig im Standversuch (Batch-Versuch) ermittelt. Die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf den realen Kläranlagenbetrieb ist allerdings aufgrund der fehlenden kontinuierlichen Beschickung fraglich.
Vorliegende Studie greift diese Problematik auf und erweitert vorhandene Modelle zur statischen Bestimmung der genannten Kenngrößen, um in Durchlaufreaktoren dynamische Para¬meter zu bestimmen. Diese berücksichtigen insbesondere im Vergleich zu statischen Batch-Versuchen variierende Stofffrachten im Zulaufstrom und geben daher besser die dynamischen Vorgänge während der biologischen Behandlung von kommunalen Abwasser wieder, dessen Vorkommen gerade bei kleinen Gemeinden eine sehr deutliche tageszeitliche sowohl quantitative als auch qualitative Variation aufweist.
Der Einsatz von Metallsalzen erfolgt primär für die Fällung von Phosphat, welches kaum mittels ausschließlich biologischer Verfahren ausreichend aus dem Abwasser entfernt werden kann. Parallel werden Spurenstoffe infolge der durch die Gabe der Metallsalze erfolgenden Prozesse zurückgehalten. Die Studie geht auf die relevanten Mechanismen ein und beantwortet die Frage, welche Arten von Spurenstoffen gezielt durch diese Verfahren aus dem Wasserpfad eliminiert werden könnten. Schließlich erfolgt die Untersuchung des Einflusses der Gabe von üblichen Co-Substraten auf die Nachweisbarkeit von Spurenstoffe.