Energienetze werden komplexer durch die Zunahme von Wind-, Solar- und Biogasanlagen und Speichern. Kleine dezentrale Einheiten, die auf die Energieversorgung der Verbraucher ausgelegt sind nehmen zu. Verbraucher werden auch zu Erzeugern von elektrischer Energie (Prosumer) und haben damit in zunehmendem Maβe die Möglichkeit sich unabhängig vom elektrischen Versorger zu machen.
Was aber bedeutet das für die Netze von heute? Nehmen wir an, die Energie wird dort genutzt, wo sie produziert wird. Das hat drei Vorteile, das System ist nicht abhängig von übergeordneten Stromunterbrechungen und Einspeisegrenzen, und es wird effizienter, da die Energie im nahen Umkreis der Erzeugung verbraucht wird und so Transportverluste minimiert sind. So kann auch der CO2 Fuβabdruck verringert werden, denn neben kürzeren Transportwegen ist es auch möglich einen höheren Anteil erneuerbarer Energiequellen zu nutzen. Dies ermöglicht zukünftigen lokalen Energiehandel zwischen benachbarten Prosumern. Ein weiterer Vorteil ist der nur in geringerem Maβe notwendige Ausbau der Übertragungsnetze, da weniger Energie transportiert und transformiert werden muss.
Betrachten wir dazu den Transportsektor, der zunehmend elektrifiziert wird. Man geht von einem Anteil von 16% E-Fahrzeugen in der EU bis 2030 aus. Mit steigender Elektrifizierung steigt auch die Gefahr einer Überlastung unserer Netze.
Viele E-Fahrzeuge innerhalb eines Versorgungsnetzes, die gleichzeitig geladen werden stellen ein Problem dar. Das ist zum Beispiel der Fall bei Fahrzeugflotten, die über den Tag in Gebrauch sind und die dann zum Feierabend gleichzeitig geladen werden. Ein anderes Beispiel sind Wohngebiete in denen Arbeitnehmer die per E-Fahrzeug zur Arbeit fahren am Abend zu Stoßzeiten wieder am Wohnort ankommen um dann gleichzeitig ihre E-Fahrzeuge für den nächsten Gebrauch zu laden. Das resultiert dann in einer Rush-Hour im Versorgungsnetz. Leider ist die heutige Netzinfrastruktur für derart hohe Spitzenlasten nicht ausgelegt. Zum Vergleich, die größten Verbraucher im Haushalt, wie Waschmaschine und Trockner haben eine maximale Anschlussleistung von 2 bis 2,5kW, ein elektrisches Fahrzeug hingegen lädt heute mit Leistungen von 11kW bis 22kW. Bei steigender Batteriekapazität und angestrebten kürzeren Ladezeiten werden diese Werte in Zukunft sogar noch steigen. Das Resultat einer nicht angepassten Versorgungsinfrastruktur bei gleichzeitig steigender Anzahl von E-Fahrzeugen konnte am Beispiel von Norwegen und Kalifornien mit „durchgebrannten“ Kabeln und Stromausfällen bereits erlebt werden.
Mikronetze, mit intelligenter Steuerung können helfen Lasten lokal koordiniert zu steuern.
Ganz konkret wurde am Beispiel elektrischer Fahrzeuge Simulationen zu einem intelligenten Lastmanagement vorgenommen. Der Ladevorgang wird kontrolliert und damit Lastspitzen verringert. Innerhalb des Projektes wurden dazu intelligente Ladesäulen entwickelt, die genau das leisten können: das Aufladen wird kontrolliert und Lastspitzen werden verringert und trotzdem wird die Ladung der Fahrzeuge zum gewünschten Zeitpunkt gewährleistet. Auf diese Weise können auch Vorgaben eines Energieversorgers, was die maximal zulässige Ladekapazität betrifft, trotz eines wachsenden Fuhrparks eingehalten werden. Die Ladesäulen werden zur Zeit an einem Standort in Nordfriesland getestet und sind besonders für Fuhrparks von Firmen oder Hausgemeinschaften geeignet.
Das dezentrale Energiemanagementsystem kann innerhalb eines Mikronetzes, wie etwa das eines Dorfes, die Versorgungssicherheit für alle Verbraucher herstellen und zusätzlich Bedingungen wie ökonomisch, emissionsarm und betriebsmittelschonenden Betrieb einbeziehen. Das Projekt carpeDIEM untersucht verteilte Algorithmen und deren Implementierung zum Einsatz in einem verteilten Energiemanagementsystem auf der Basis von sogenannten Energieagenten, um Mikronetze hinsichtlich der verschiedenen Rahmenbedingungen bestmöglich zu steuern.
Zudem untersucht unser Projektpartner an der EUF, welchen Einfluss eine solche Optimierung von Mikronetzen auf das gesamte Elektrizitätssystem hat.
Hintergrund:
Dezentrale Erzeugung von erneuerbarer Energie wird ihren Anteil am gesamten Energiesystem vergrößern. Daher müssen in Zukunft Technologien bereitstehen, die die Dynamik und die geographische Verteilung dieser erneuerbaren Energieeinheiten optimal steuern können. Eine große Anzahl installierter erneuerbarer Energiequellen versorgt heute Verbraucher auf Nieder- und Mittelspannungsniveau und erzeugt lokale Energie in der Nähe der Verbraucher. In Haupt-Einspeisezeiten, wenn also mehr Energie produziert als vor Ort verbraucht wird, fließt Strom vom untergeordneten Netz in das übergeordnete Netz. Zu Hauptverbrauchszeiten ist der Fluss umgekehrt. Dieser ständige Fluss an Energie von einem Netz in das andere belastet die Umspannstationen bis an ihre Grenzen und kann zu Spannungs- und Frequenzinstabilitäten im Netz führen. Heutzutage werden die erneuerbaren Energieversorgungsanlagen bei Überlast der Netze ‚abgeregelt‘ oder abgeschaltet. Dies kann aber nur eine temporäre Lösung zur Anpassung des Gleichgewichtes zwischen Erzeugung und Bedarf sein
Projektpartner, ihre Rollen und Interreg-Förderung:
Mads Clausen Institut an der Süddänischen Universität
Das Mads Clausen Institut (MCI) ist Leadpartner im Projekt carpeDIEM. MCI ist Teil der Technischen Fakultät der Syddansk Universitet (SDU) in Sonderburg. Das Institut verfügt über Kompetenzen in intelligenten verteilten Steuer-und Regelungssystemen sowie in eingebetteten mechatronischen Systemen. Das MCI simuliert die Steuerung der Mikronetze und ist an deren Aufbau an Demonstrationsstandorten beteiligt.
Kompetenz-und Wissenschaftszentrum für intelligente Energienutzung – WiE der FH Lübeck
Das WiE forscht und lehrt im Themenfeld der modernen Energieversorgung und Energiewirtschaft. Es befasst sich u. a. mit Energie-, Informations-und Kommunikationstechnologien für den regionalen Ausbau der Infrastruktur zur intelligenten Umwandlung und Nutzung von Energieformen. Darüber hinaus engagiert sich das WiE in der Konzeptentwicklung von virtuellen Kraftwerken zur Versorgungssicherung und Netzregelung beim Umbau von zentraler zu dezentraler Energieversorgung. Vor diesem Hintergrund ist das Team der FH Lübeck wesentlich an der Entwicklung und Erforschung der dezentralen Steuerung der Mikronetze beteiligt.
Europa Universität Flensburg
Der Bereich „Energie-und Umweltmanagement“ der Europa-Universität Flensburg (EUF) ist Teil des interdisziplinären und hochschulübergreifenden Zentrums für Nachhaltige Energiesysteme (ZNES). Das Forschungsinteresse liegt im Wesentlichen im Bereich der Modellierung und Analyse von Energiesystemen, die vollständig auf erneuerbaren Energien basieren, um daraus neue lokale und regionale Klimaschutzkonzepte zu entwickeln. Im Rahmen des Forschungsprojektes simulieren Forscherinnen und Forscher der EUF den Einfluss solcher lokal optimierten Systeme („Mikronetze“) – z.B. Dörfer – auf das gesamte Stromsystem.
cbb software GmbH
Die Firma cbb software GmbH aus Lübeck entwickelt innovative Lösungen für die Bereiche Industrie 4.0, Automotive und Energie. Für das Projekt entwickelt cbb die Kommunikationsinfrastruktur für das Agentensystem und stellt diese sowohl auf Software-als auch Hardware-Ebene zur Verfügung.
Netzwerkpartner
Das stetig wachsende Netzwerk des carpeDIEM Projektes zeigt die Bedeutsamkeit und Notwendigkeit der Entwicklung intelligenter dezentraler Mechanismen zur lokalen Nutzung, lokal produzierter Energie. Das Netzwerk besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Vertretungen aus Wirtschaft, Energieversorgern, Gemeinden und kommunalen Unternehmen, die an den Entwicklungen partizipieren.
Interreg 5A Förderung des carpeDIEM Projektes
Das Projekt carpeDIEM wird mit seinen Partnern auf dänischer und deutscher Seite aus Mitteln des europäischen Fonds für regionale Entwicklung, Interreg 5A, gefördert. Das dreieinhalbjährige Projekt zielt darauf ab die nachhaltige Nutzung von Energie in der Region zu steigern. Dies geschieht durch eine intelligente Steuerung von Energieflüssen in einem lokal begrenzten Gebiet auf der Basis von erneuerbaren Energien. Ein Hauptaugenmerk gilt dabei den Unternehmen der Region und deren spezifischen Energieverhaltensmustern und Versorgungsstrukturen.